Hängepartie

Hängepartie

(Ralf Mulde) „Hängepartien sind abgeschafft“, heißt es gelegentlich, folglich weiß niemand mehr, wo im Schachschachrank sich die Formulare für diesen Kram befinden. Eigentlich weiß schon niemand mehr, wie die Dinger samt Umschläge aussehen. Egal, der entspr. Anhang der FIDE „laws of chess“ ist doch wohl komplett überflüssig. Dennoch steht er da … vermutlich nur ein Versehen der undurchschaubaren FIDE, denkt man sich. Oder …??? Wir wollen sehen. Es war am ersten Tag des Juli 2017 ein überraschend regnerischer Sonnabend und es wurde sensationell:

Spannung pur war angesagt in der Schlussrunde der Deutschen Meisterschaft. Denn es ging um viel: Normen, Titel und Meisterschaft. Zumal die letzte Runde unter erschwerten Bedingungen über die Bühne gehen musste. Eine im Turniersaal anberaumte Hochzeitsfeier ließ Spieler mitsamt Equipment nach 5 Stunden Spielzeit in einen Nachbarraum umziehen. Zu diesem Zweck wurden alle zu diesem Zeitpunkt laufenden Partien abgebrochen und mit Hängepartien fortgesetzt. Ein Novum in der jüngeren deutschen Schachgeschichte!

Weil es schon lange bekannt gewesen war, dass besagte Hochzeitsfeier (beste Wünsche an das glückliche Paar!) für genau diesen Raum gebucht war, dürfte der Hauptschiedsrichter (hochkarätig und kompetent: ISR Ralph Alt) der Deutschen Einzel gewiss Sorge dafür getragen haben, nicht plötzlich nervös kramend vor irgendeinem staubigen Schrank stehen zu müssen: „Wo sind denn die Umschläge und die Formulare für diese verflixten … seit fuffzich Jahren nicht mehr in der Hand gehabt … wie sahen die überhaupt noch mal aus??“ Kleiner Tipp: Wenn man sich beim Suchen an die Farbe erinnert, ist schon viel gewonnen.

Tatsächlich sollten wir – neben vielem Anderem – im Kopf behalten, dass ein solcher Hängepartie-Ernstfall, also eine nicht geplante Partie-Unterbrechung, jederzeit an Deinem Brett eintreten kann! Die Heizung fällt aus, angeblich besteht irgendwo Brandgefahr, der Bürgermeister kommt für eine überraschende Ansprache vorbei, andere Gäste beanspruchen den Raum … immer ist alles möglich. Übrigens: Durch die gezwungenermaßen tiefe Analyse der Hängestellung, oft mit mehreren, lernt man wahnsinnig viel! Und wie jeder Fernschachspieler zugeben wird: Gerade im Endspiel wird’s mit dem Computer schwierig. Das ist schon wegen der vielen Positionen mit materiellem Ungleichgewicht so, die aber nicht zu gewinnen sein werden, anders als der Computer es vor irgendeinem „Rechner-Horizont“ anzeigt.